Endlich in Routine
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2024
Die Liquid Biopsy bietet großes Potenzial, und gezielt eingesetzt, profitieren zahlreiche Krebserkrankte. Was ist Liquid Biopsy und welche Erfahrungen haben zwei Analysezentren bereits in der Routinediagnostik gemacht?
Text: Ann-Christin Lüdiger
Das Magazin „Nature Milestones in Cancer“ beschreibt die Liquid Biopsy als eine der wichtigsten zukünftigen Methoden, und laut dem „Forbes Magazine“ ist sie eine von fünf Technologien mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Die Liquid Biopsy als molekulardiagnostische Revolution verlässt bereits ihren reinen Forschungsstatus und hält immer weiter Einzug in die Routineversorgung von Patientinnen und Patienten mit soliden Tumoren.
Die Medizin ist in den letzten Jahren dem Ziel einer personalisierten, also auf die jeweilige Erkrankung maßgeschneiderten Tumortherapie, deutlich nähergekommen und die Entwicklungen nehmen weiter an Fahrt auf. Mit einer einfachen Blutabnahme und entsprechender Laboranalytik lassen sich genetische Veränderungen des Tumors (Tumorvarianten) erkennen, was somit maligne Tumorerkrankungen früher und besser behandelbar macht. Die molekulare Blutanalyse erlaubt nicht nur eine maßgeschneiderte Therapie, sondern kann auch frühzeitig erkennen, ob diese anschlägt oder versagt. Das konnte in vielen klinischen Studien bereits erfolgreich gezeigt werden. Ärztinnen und Ärzte können so eine medikamentöse Anpassung und eventuell wirksamere Therapieoptionen in Erwägung ziehen. Klinische Daten zeigen, dass mittels Liquid Biopsy sogar die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls nach chirurgischer Entfernung des Tumors besser abgeschätzt werden kann und damit eine optimierte Entscheidungsgrundlage für die Notwendigkeit einer Therapie geschaffen wird.
Was ist Liquid Biopsy?
Alle soliden malignen Tumore, wie zum Beispiel Mamma-, kolorektale- und nicht-kleinzellige Lungenkarzinome oder Melanome, geben während des Wachstums geringe Mengen ihres Erbmaterials, also DNA, ins Blut ab. Diese liegt dann in Form von kleinen zellfreien DNA-Fragmenten (ctDNA) vor und lässt sich mittels einer einfachen Blutabnahme gewinnen und analysieren. Die Analyse erfolgt oft durch Sequenzierung. Dadurch wird erkannt, ob relevante und tumorspezifische Varianten vorliegen. Das Ergebnis kann Einfluss auf die Therapiewahl haben, denn es lässt beispielsweise eine Aussage darüber zu, ob bestimmte Medikamente wirksam oder unwirksam sind. Zusätzlich spielt der Anteil der detektierten ctDNA im Plasma eine wichtige Rolle. Unter Therapie spiegelt sie das Verhalten des Tumors wider: Sie steigt an, wenn der Tumor wächst, und sinkt, wenn der Tumor kleiner wird (also etwa auf eine Therapie anspricht), sie ist in der Regel nicht mehr detektierbar, wenn der Tumor entfernt ist (nach OP oder nach erfolgreicher Therapie), und kann ein Hinweis auf Heilung darstellen.
Wegweisende Studien
Die bereits 2015 gestartete deutsch-österreichische FIRE-4 Studie zeigt, dass eine Liquid-Biopsy-Analytik mit dem Sysmex OncoBeam Test 13 Prozent mehr Patientinnen und Patienten identifiziert, die von einer zielgerichteten Therapie profitieren, als der bisherige Standard, die Gewebeanalytik. Einleuchtend, denn ein Tumor ist immer heterogen, enthält also Zellen mit verschiedenen Varianten. Eine Gewebebiopsie bildet immer nur einen Bruchteil des Tumors ab, wohingegen im Plasma die DNA aus allen Tumorregionen und auch Metastasen zirkuliert.
Ende 2022 wurde eine weitere richtungsweisende Studie von Tie et al. aus Australien veröffentlicht, bei der die Liquid Biopsy ebenfalls mit Sysmex Technologie erfolgte. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Patienten mit kolorektalem Karzinom in Stadium II die Untersuchung auf ctDNA-Vorhandensein nach einer OP ein deutlich besseres Entscheidungskriterium für oder gegen eine Chemotherapie ist und so etwa 50 Prozent der Erkrankten eine unwirksame und zudem oft mit beträchtlichen Nebenwirkungen verbundene Chemotherapie erspart werden kann.
Auch beim Mammakarzinom gibt es Neuigkeiten: Im Herbst 2023 wurde ein neues Medikament, ein oraler Selektiver Östrogenrezeptor Degrader (SERD) für ER-positive, HER2-negative Patientinnen zugelassen, die bereits eine Hormontherapie bekamen, aber dennoch ein erneutes Tumorwachstum aufwiesen. Für diese gibt es nun neue Hoffnung. Für die Gabe des Medikaments ist der Nachweis einer ESR1-Variante durch eine Liquid-Biopsy-Analyse obligat.
EXPERTIN
Dr. Maria Elisabeth Mustafa ist Medizinerin und hat sich bereits in ihrer Facharztausbildung für klinisch-chemische Labordiagnostik intensiv mit der hämatoonkologischen Diagnostik befasst. Sie verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung mit Liquid Biopsy bei verschiedenen malignen Erkrankungen.
ZENTRUM
Medilab Salzburg ist führendes Labor in Österreich im Bereich der Liquid Biopsy. Bereits seit 15 Jahren bietet das Zentrum hämatoonkologische molekulare Diagnostik an. In der humangenetischen Diagnostik erstreckt sich das Angebot heute von der personalisierten Tumordiagnostik über die personalisierte Pharmakogenetik bis hin zur pränatalen Testung.
Warum haben Sie sich für Plasma-SeqSensei entschieden?
DR. MUSTAFA Eine IVD-zertifizierte Lösung ist eine wichtige Voraussetzung für die Anwendung in der klinischen Routine. Zusätzlich haben wir eine sehr intensive Validierung des Systems vorgenommen, und Plasma-SeqSensei erwies sich als robustes Testsystem, bei dem wir die Ergebnisse immer wieder in gleicher Qualität wiederholen konnten. Plasma-SeqSensei hebt sich aber auch durch weitere Merkmale von anderen Next-Generation-Sequencing-, also NGS-Verfahren ab: Durch die Verwendung der Unique Identifier kann die freie Tumor-DNA spezifisch und sehr sensitiv detektiert werden. Besonders wichtig und einzigartig ist die absolute Quantifizierbarkeit der gefundenen genetischen Mutationen. Denn diese ist Grundlage, um ein Monitoring im Verlauf der Therapie durchzuführen. Durch die Berechnungsmethoden wird das Ergebnis unabhängig vom variablen Anteil der zellfreien „normalen“ DNA, und nur so kann ich die Abnahme oder Zunahme der Tumor-DNA beurteilen. Das habe ich bis jetzt in keinem anderen System gefunden.
Warum ist die Liquid Biopsy aus Ihrer Sicht ein echter „Gamechanger“ in der Therapie solider Tumore?
Winzige Mengen zellfreier Tumor-DNA werden aus nur einer Blutprobe mit hochsensiblen Methoden gewonnen, und so können somatische Mutationen, die kausal mit der Tumorentwicklung in Zusammenhang stehen, qualitativ und quantitativ nachgewiesen werden. Für einige dieser Treibermutationen stehen zielgerichtete Medikamente zur Verfügung, die für personalisierte Therapien eingesetzt werden können. Das Monitoring des Therapieerfolgs, das frühzeitige Erkennen von Resistenzmechanismen oder das Auftreten von Rezidiven sind weitere Einsatzgebiete. Im Vergleich zur herkömmlichen Gewebediagnostik ist die Liquid Biopsy für die Erkrankten schonender, kann jederzeit wiederholt werden und führt rasch zu einem Ergebnis.
Welche zukünftigen Potenziale birgt die Liquid Biopsy?
Die heutigen Anwendungen finden vor allem im Bereich der Erstdiagnose, des Monitorings und der Detektion von minimaler Resterkrankung – Minimal Residual Disease, kurz MRD – statt. Natürlich ist es so, dass es extrem interessant wird, auch nichtmetastasierte Tumore zu erfassen und die Treibermutationen mit geeigneten Medikamenten in Verbindung zu bringen. Wir alle wünschen uns, dass durch die einfache Blutabnahme die Therapieüberwachung und auch das Erfassen von MRD zur Standarddiagnostik werden, die ganz normal, wie auch viele andere, einfach jederzeit für die Patientinnen und Patienten erreichbar sein wird. Wohl noch ein ferner Traum wäre ein Screening, mit dem wir molekulare Veränderungen frühzeitig erkennen, die ein entstehendes Krebsgeschehen anzeigen.
EXPERTIN
Dr. Ariane Hallermayr ist Biologin und hat sich bereits mit Beginn ihrer Promotion 2017 auf die Liquid Biopsy fokussiert. Seit Mai 2023 leitet sie die Abteilung Research and Development des MGZ. Sie beschäftigt sich dort intensiv mit der Liquid-Biopsy-Methodenetablierung, der Validierung für die Diagnostik und mit Forschungsprojekten.
ZENTRUM
Das Medizinisch Genetische Zentrum (MGZ) München wurde im Jahr 2000 von Prof. Elke Holinski-Feder gegründet. Das Team besteht heute aus 180 Mitarbeitenden mit einem hohen Anteil an Ärztinnen und Ärzten sowie Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, da ein starker Fokus auf der genetischen Beratung liegt. Das Zentrum führt die Liquid Biopsy mit verschiedenen Ansätzen durch und verwendet dazu seit einigen Monaten auch das Plasma-SeqSensei-Verfahren.
Was hat Sie überzeugt, Plasma-SeqSensei als Verfahren einzuführen?
DR. HALLERMAYR Wir suchten eine Methode zwischen der digitalen PCR, mit der man nur einzelne Varianten nachweisen kann, und unserem verhältnismäßig großen Panel, mit dem wir komplette Gene betrachten, was aber sehr teuer ist. Plasma-SeqSensei ist ein ideales Bindeglied, denn es deckt die häufigsten bekannten und therapierelevanten Varianten ab. Wir nutzen den Test bei nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen, Mamma- und kolorektalen Karzinomen.
Ist die Liquid Biopsy auch in Ihren Augen eine echte Revolution im Kampf gegen Krebs?
Ja, natürlich. Die Liquid Biopsy ist minimalinvasiv, daher nur eine sehr geringe Belastung für die Erkrankten, und eröffnet damit erstmalig die Möglichkeit für ein Real-time-Monitoring im Verlauf, denn der Anteil der ctDNA korreliert mit der Tumorlast. Studien zeigen, dass man so ein wahnsinnig gutes Outcome erzielen kann. Man kann beispielsweise bei Patienten mit einem kolorektalen Karzinom im Stadium II viel besser stratifizieren, wem eine adjuvante Chemotherapie nach OP wirklich einen Überlebensvorteil bringt. So kann man zukünftig den Erkrankten nicht notwendige Chemotherapien ersparen. Ein anderes Beispiel bei Mammakarzinom sind Resistenzvarianten, die sich erst während der Therapie entwickeln. Aktuelle Daten zeigen, dass eine Umstellung der Therapie basierend auf den Ergebnissen einer ctDNA-Analyse zu einem deutlich längeren progressionsfreien Überleben führt. Bisher war eine so engmaschige und hochsensitive Diagnostik nicht möglich. Das heißt jetzt nicht, dass eine ctDNA-Analyse die aktuellen Tumormarker ersetzen kann oder sollte. Aber letztlich deuten alle Daten darauf hin, dass eine Ergänzung durch ctDNA eine wirklich verbesserte Versorgung ermöglicht.
Wie geht die Reise der Liquid Biopsy weiter?
Aktuell wird die ctDNA-Analyse in den europäischen Leitlinien als begleitende oder Companion Diagnostics empfohlen. Das bedeutet, wir untersuchen, ob bestimmte Varianten in Genen vorliegen, die eine Therapieindikation darstellen. Aufgrund der vielversprechenden Daten für die Unterstützung der Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie ist es naheliegend, dass der Nachweis einer minimalen Resterkrankung, MRD, als nächstes Teil der Patientenversorgung wird. Hierfür konnte der Patientenbenefit bereits belegt werden. Vermutlich wird auch das Therapiemonitoring anhand der ctDNA-Level bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen in Bälde in die Patientenversorgung kommen.
Liquid Biopsy in der Routineanwendung
Neben einer fundierten Datenlage, die den klinischen Nutzen beweist, sind Empfehlungen in Leitlinien, eine ausreichende Erstattung und routinetaugliche qualitativ hochwertige, kommerzielle Tests essenziell, damit die Diagnostik überhaupt bei den betroffenen Patientinnen und Patienten ankommt. Die Studienergebnisse haben Onkologinnen und Onkologen dazu veranlasst, weitere Empfehlungen der Liquid Biopsy in den Leitlinien anzustreben. In Österreich und der Schweiz ist die Erstattung meist möglich, wohingegen in Deutschland bisher nur wenige EBM-Codes für die Analyse spezieller Gene vorliegen. Die neue und rasch wachsende klinische Evidenz unterstützt das Erlangen einer guten Erstattungssituation immens und lässt hoffen.
Sysmex ist Vorreiter auf dem Gebiet der Liquid Biopsy und hat sich schon lange zum Ziel gesetzt, diese im Sinne von Tumorerkrankten verfügbar zu machen. Eigens zu diesem Zweck wurde Plasma-SeqSenseiTM entwickelt: hochsensitive IVD-Kits, basierend auf NGS-Technologie mit Genpanels speziell für Mammakarzinom und andere solide Tumore wie kolorektales und nichtkleinzelliges Lungenkarzinom oder das Melanom. Bereits zwei Tage nach Blutabnahme und Eingang im diagnostischen Labor kann das Ergebnis als automatisch generierter Bericht vorliegen.
Summary
- Liquid Biopsy ist in der Routine angekommen
- Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Tumortherapie
- Sysmex bietet mit Plasma-SeqSensei IVD ein hochwertiges Verfahren an
- Die Einsendung und Analyse von Patientenproben ist derzeit in vier Zentren möglich