Hand in Hand zum Wohl des Patienten
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 2/2021
Ein reger Austausch zwischen Medizinern unterschiedlicher Fachrichtungen ist wichtig. Zwei Beispiele zeigen, wie verschiedene Disziplinen noch erfolgreicher zusammenarbeiten können
Text: Ramona El Fatmi
Laborärzte und MTAs kennen sie schon seit einiger Zeit – und die xtra hatte schon in den vergangenen Ausgaben ausführlich über sie berichtet: die erweiterten Blutbildparameter.
Obwohl der Anteil der Intensivmediziner, die erweiterte Blutbildparameter schon fest in der Routine nutzen, aktuell noch gering ist, zeigt sich diese Ärztegruppe sehr interessiert. Die neuen Parameter haben das Potenzial, entscheidende Informationen für den weiteren Behandlungsverlauf kritisch kranker Patienten zu liefern.
Anhand des Parameters RET-He können Ärzte im Rahmen des Patient Blood Managements eine effiziente Eisen-/ Epotherapie vor einer anstehenden OP besonders schnell und kostengünstig monitoren, die Liegezeiten der Patienten auf der intensivmedizinischen Versorgungsstation bedeutend verkürzen und die Anzahl der Bluttransfusionen reduzieren. Mit erweiterten Entzündungsparametern lassen sich systemischinflammatorische Reaktionen von infektiösen Reaktionen ähnlich gut oder sogar noch besser unterscheiden als mit den Markern CRP oder PCT. Einfach und unkompliziert aus dem EDTA-Röhrchen sind die Werte innerhalb von Minuten verfügbar. Was der Nutzung häufig entgegensteht, ist nicht etwa die Verfügbarkeit der Parameter im Labor – sie sind zumeist gegeben –, sondern der Wissenstransfer in der Klinik.
Anämie und Infektionsdiagnostik
Dass großes Interesse seitens der behandelnden Ärzte besteht, zeigte die rege Teilnahme an den von PD Dr. Christian Hönemann (Chefarzt der Intensivmedizin im St. Marienhospital in Vechta) initiierten Vorträgen im Rahmen des Bremer Talks. Dabei handet es sich um eine Vortragsreihe für Intensivmediziner und Intensivpfleger, die das 31. Symposium Intensivmedizin & Intensivpflege während der Pandemie virtuell ersetzte. Der Bremer Talk ist das größte deutsche verbandsunabhängige Treffen von Intensivmedizinern und -pflegenden unter dem Vorstand von Prof. Dr. Herwig Gerlach (Berlin), Sabine Kretschmar (Oldenburg) sowie Prof. Dr. Rolf Dembinski (Bremen). Obwohl es eine Fokussierung auf den gesamten Themenkreis „Corona“ gab, war Platz für viele weitere spannende Themen.
Intensiver Digitalaustausch
Zunehmendes Interesse von Intensivmedizinern spiegelt sich auch in der steigenden Nachfrage bei Sysmex zu virtuellen Informationsgesprächen wider, zu denen Labor und Ärzteschaft gemeinsam willkommen sind.
Der intensive virtuelle Erfahrungsaustausch im letzten Jahr ist einer der wenigen positiven Effekte der Pandemie: Ob über MS Teams, Zoom oder andere Onlinemeeting-Dienste – sie bringen die Teilnehmer häufig schneller zusammen und lassen sie manchmal sogar effektiver kommunizieren. Virtuelle Meetings benötigen ein Minimum an Zeitaufwand, erlauben eine nahezu unbegrenzte Teilnehmerzahl und sind auch für alle Kollegen zugänglich, die nicht vor Ort sein können.
Wer sich für Informationsgespräche zu den Themen interessiert, melde sich gern unter: medicalscience@sysmex.de
ICIS* – Read-out des Immunsystems
Bakterielle Infektion oder nicht? Der RUO* Intensive Care Infection Score (ICIS*) hat das Potenzial, die Diagnostik entscheidend zu unterstützen. PD Dr. Dr. Andreas Weimann über den ICIS*
Herr Dr. Weimann, Sie haben ICIS* mitentwickelt. Was macht den Score für die Intensivmedizin so interessant?
Der Intensivmediziner muss möglichst früh wissen, ob eine Infektion vorliegt oder nicht, ob diese (noch) lokal oder bereits disseminiert ist. Und dann geht es um die Differenzialanalyse: Ist die Ursache bakteriell, viral oder mykotisch? Fiebert der Patient, werden oft Antibiotika verabreicht. Wichtig ist, nur wenn nötig eine anti-infektive Chemotherapie zu beginnen, dabei die Nebenwirkungen zu minimieren und natürlich auch keine multiresistenten Keime zu züchten. Die Blutkulturanalytik liefert meist recht spät oder häufig auch keinerlei Ergebnisse. Eine Antwort erhalten Sie aber fast immer vom ICIS*, der quasi mit Ihnen „redet“. Das ist für mich das direkte „Read-out“ des Immunsystems. Es zeigt die unmittelbare Reaktion des Patienten, ob der Patient immunkompetent reagiert oder nicht. Das Blutbild steht mir rund um die Uhr zur Verfügung. Immer schnell, standardisiert und kostengünstig. Daher finde ich den ICIS* so genial, beziehungsweise generell die Parameter des erweiterten Blutbilds. Denn das Blut ist ja der „besondere Saft“, in dem jene Zellen vorhanden sind, die die Infektion bekämpfen. Warum sollte man das nicht nutzen?
Warum braucht es einen neuen Score? Bekannter sind doch klinisch-chemische Parameter wie CRP und PCT für die Diagnostik einer Infektion.
CRP ist ein sogenanntes Akute-Phase-Protein, doch benötigt es bis zu 48 Stunden, um seinen Peak zu erreichen. Und erst circa 24 Stunden nach Infektionsbeginn weist sein Anstieg auf eine Infektion hin. Wenn wir davon ausgehen, dass im septischen Schock die Sterblichkeit pro Stunde bei etwa sieben bis acht Prozent liegt, bei Neugeborenen noch deutlich darüber, dann ist die viel zu lang-same Kinetik des CRP für die Akuttherapie nur bedingt von Interesse. Bei PCT wissen wir bis heute noch nicht wirklich über seine Funktion Bescheid. Was wir aber wissen, ist, dass PCT nicht immer Infektionen erfasst, ein PCT-Wert im Referenzbereich nicht immer eine Infektion ausschließt, eine eingeschränkte Nierenfunktion oder eine Hyperthyreose oder auch hämatologische Systemerkrankungen zu erhöhten PCT-Konzentrationen führen können. Daher beantwortet PCT mir nicht unbedingt alle wichtigen Fragen. Essenziell ist im klinischen Alltag zudem, dass mir der Parameter rund um die Uhr zur Verfügung steht und dies möglichst schnell, standardisiert und kostengünstig.
ICIS* ist ein Score, der ausschließlich Parameter des Blutbilds nutzt. Wie funktioniert das?
Was bietet uns das klassische Blutbild? Das ist für mich in diesem Kontext wie Erbsen zählen. Der Leukozytenwert umfasst völlig verschiedene Zellklassen mit unterschiedlichen Vorläuferzellen, er sagt für kritisch Kranke einfach zu wenig aus. Daher muss man tiefer schauen. Auch der reine Lymphozytenwert gibt mir keine Unterscheidung zwischen Boder T-Lymphozyten. Das klassische Differenzialblutbild trifft Aussagen über die Quantität, nicht unbedingt aber zur qualitativen Reaktion der Zellen. Eine Aussage zum Aktivierungsstatus von Zellen ist beispielsweise kaum möglich. Mit der Sysmex Technologie sich jedoch unterschiedlichste Populationen dar. So kann der Nachweis von hochfluoreszierenden Lymphozyten – B-Zell-Gedächtniszellen – einen entscheidenden Hinweis auf eine Infektion geben. Wenn ein Plasmozytom ausgeschlossen ist, kann ich von einer erregerbedingten Antwort ausgehen und habe damit einen hochspezifischen Sepsismarker, der mir aber die Frage nach einer viralen oder bakteriellen Ursache noch nicht beantworten kann. Für diese Unterscheidung hilft mir die NeutrophilenAktivität weiter. Neutrophile gehören zum angeborenen Immunsystem und reagieren auf Bakterien oder auch Pilze, aber nicht auf Viren. So wird es leichter, eine Therapieentscheidung zu treffen. Dennoch muss man auch hier die Historie des Patienten miteinbeziehen und schauen, ob Medikamente oder eine Chemotherapie nicht mit der Messtechnologie interferieren. In manchen Fällen können Wirkstoffe die Eigenschaften der Zellen beeinflussen und dadurch zum Beispiel erhöhte Werte erzeugen.
Welches sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Parameter des Scores?
Einer der wichtigsten Parameter des Scores ist für mich das Delta-He – das ist das „Retikulozyten-Hämoglobin minus Hämoglobin der reifen Erythrozyten“. Vor etwa 15 Jahren hatte ich noch keine Ahnung, dass man mit dem roten Blutbild etwas über den Zustand eines intensiv- medizinischen Patienten aussagen kann. Als wir seiner zeit beobachteten, dass sich der Hämoglobingehalt der Retikulozyten bereits drei bis vier Stunden nach Therapieanpassung ändern konnte, war das eine vollkommen neue Erkenntnis. Zudem reagiert Delta-He bei bakteriellen Infektionen deutlich stärker als bei viralen. Ursache ist die in der Regel geringere Konzentration von IL-6 bei viralen Infektionen, wobei es hier auch Ausnahmen gibt. IL-6 stimuliert die Ausschüttung von Hepcidin mit einer verminderten Eisenaufnahme und -verwertung in Folge. Ich bezeichne diesen Prozess immer als das „Eisenimmun- system“.
Wie stellen Sie sich den Einsatz von ICIS* in der Routine vor?
Ganz wichtig wäre die Bestimmung des Ausgangswerts, am besten schon bei Patientenaufnahme, noch vor größeren Eingriffen wie Operationen. Dann sollte mindestens täglich der ICIS*-Wert kontrolliert werden, denn schließlich ist der ICIS* ja sehr dynamisch. So kann ich unter anderem die Effektivität der Antibiotikatherapie kontrollieren, auch wenn die direkte Erregerdiagnostik oft noch lange auf sich warten lässt.
Nach welchem Cut-off -Wert sollte man sich dann richten?
Mit der Festlegung auf einen absoluten Cut-off-Wert bin ich recht vorsichtig. Entscheidend ist für mich die Entwicklung der Werte des Patienten über die Zeit. So sollte möglichst nicht erst postoperativ mit der ICIS*-Bestimmung auf der Intensivstation bei Verdacht auf Sepsis begonnen, sondern bereits ein präoperativer Ausgangswert bei Erstaufnahme erhoben werden.
* RUO – nur für Forschungszwecke – Der Hersteller hat keinen Zweck der In-vitro-Diagnostik festgelegt. Daher ist eine interne Validierung in den Einrichtungen erforderlich, bevor Informationen verwendet werden, um eine Diagnose zu stellen oder über die therapeutische Behandlung zu entscheiden. Optionale Anwendung, je nach Softwarestand.
Summary
- Das Blutbild wird für die Intensivmedizin immer interessanter. Das zeigte sich auch auf dem Bremer Talk
- Erweiterte Blutbildparameter wie RET-He können helfen, die Liegezeiten von Intensivpatienten deutlich zu reduzieren
- Der RUO* Intensive Care Infection Score (ICIS*) bietet laut der Studie von Weimann K. et.al. (2015)[2], die Möglichkeit, eine bakterielle Infektion frühzeitig zu erkennen
Fotoquelle: shutterstock, Labor Berlin-Ausserhofer