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Blut aus der Retorte

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2022

Zwei Forscherinnen beschäftigen sich mit der künstlichen Bluterzeugung. Welche Chancen und Hürden es gibt und was Wattwürmer damit zu tun haben – wir haben nachgefragt

Text: Verena Fischer

Blutbeutel sind weltweit Mangelware und werden zukünftig noch knapper. „Wegen des demografischen Wandels tritt ein Großteil der Patientinnen und Patienten, die noch vor fünf bis zehn Jahren Blut gespendet haben, jetzt in die Alterskohorte ein, die die Blutprodukte benötigen“, bestätigt Prof. Andrea Steinbicker, stellvertretende Direktorin der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Uniklinik Frankfurt. „Es ist außerdem so, dass wir häufiger Personen behandeln, für die sich das Finden eines adäquaten Blutprodukts wegen einer besonderen Antikörperkonstellation schwierig gestaltet.“ Um das Problem der fehlenden Blutprodukte in den Griff zu bekommen, beteiligt sich Steinbicker in Zusammenarbeit mit der Pharmazeutin und Forscherin Prof. Katja Ferenz seit mehr als zehn Jahren daran, synthetische Blutprodukte herzustellen und in präklinischen Studien zu erproben.

Perfluorcarbone als Hämaoglobinersatz

Erythrozyten sind individuell mit verschiedenen Oberflächenantigenen ausgestattet. Diese gilt es vor Transfusionen diagnostisch präzise zu ermitteln, um lebensbedrohliche Immunreaktionen beim Empfangenden auszuschließen. Wenn es gelingt, rote Blutkörperchen oder alternative Sauerstoffträger synthetisch herzustellen, ließe sich so eine antigenfreie Alternative erzeugen – was klare Vorteile bringt. „Wir nutzen Albumin als Erythrozytenmembran“, erklärt Ferenz, die am Institut für Physiologie an der Uniklinik Essen beschäftigt ist. „Für Albumin als Hüllprotein spricht, dass es ein körpereigenes Protein ist und gleichzeitig als Emulgator funktioniert, weswegen keine weiteren Emulgatoren ergänzt werden müssen.“ Da Emulgatoren sehr häufig für Nebenwirkungen verantwortlich sind, ist das ein großes Plus. Gleichzeitig sind die mit Albumin ummantelten, künstlichen Sauerstoffträger sehr klein, komprimierbar und können daher selbst winzige Gefäße problemlos passieren. Und: „Je weniger Zutaten es für Blutalternativen braucht, desto besser“, fährt die Pharmazeutin fort. „Denn jeder Zusatzstoff birgt seinerseits Risiken, Immunreaktionen zu verursachen.“

Im Gegensatz zum Forschungsansatz, Hämoglobine aus Blut zu isolieren oder rekombinant zu erzeugen, arbeiten Steinbicker und Ferenz mit Fluorkohlenstoffverbindungen (Perfluorcarbonen) als Sauerstoffträger. „Wir ummanteln einen flüssigen Kern aus Perfluordecalin mit einer Albuminhülle. Das ist ein Fluorcarbon, das medizinisch schon erprobt ist.“ Ferenz ergänzt, dass es ein großer Vorteil von Perfluordecalin sei, dass alle Wasserstoffe darin durch Fluor ersetzt sind, weswegen körpereigene Enzyme dieses nicht abbauen können. Stattdessen wird es einfach abgeatmet, wenn es nicht mehr als Sauerstoffträger gebraucht wird.

Ein langer Weg bis zur Zulassung

Anfang des 19. Jahrhunderts hat es erste Versuche gegeben, Blutprodukte von Schafen oder Hunden auf Menschen zu übertragen. „Dabei sind natürlich viele Menschen verstorben“, berichtet Steinbicker. „Der Wunsch und die Forschung nach alternativen Blutprodukten sind schon über 100 Jahre alt“, fährt sie fort. „Das Problem ist, dass auch viele künstliche Produkte eine Reaktion beim Empfänger auslösen. Also eine massive Entzündungsreaktion, die tödlich sein kann.“ Hinzu kommt, dass alles, was in den Körper gegeben wird, irgendwo abgebaut und eliminiert werden muss, entweder über die Leber, die Niere oder die Lungen. „Und zuvor finden dann häufig Abwehrreaktionen des Immunsystems auf die Abbauprodukte statt, was in präklinischen Studien häufig dazu führt, dass man nicht weiterkommt.“

Eine andere Schwierigkeit ist, dass nur Produkte zugelassen werden, die in der klinischen Phase frei von tierischen Elementen sind oder die extrem aufwendig aufbereitet wurden, um Immunreaktionen zu vermeiden. „Und das bezieht sich auch auf sämtliche Zwischenschritte in der Herstellung“, so Ferenz. „Wir verwenden daher am Besten direkt humanes Albumin.“ Aus Kostengründen nutzen die Wissenschaftlerinnen neben Humanalbumin aus abgelaufenen, aufbereiteten Konserven aktuell auch tierische Albumine sowie Albumin, das rekombinant in Reispflanzen und Hefen hergestellt worden ist. „Das ist aber leider sehr teuer und daher für die breite Forschung nicht einzusetzen“, erklärt die Forscherin. „Wir haben in den ersten zehn Jahren chemisch ganz verschiedene Hüllmaterialien ausprobiert und uns da dann auch massiv verbessern können, sodass wir jetzt mit dem Albuminmantel bei einem Produkt angekommen sind, das wirklich auch schon sehr gut vertragen wird“, berichtet Ferenz.

Aus Stammzellen oder Wattwürmern

Andere Forschende konzentrieren sich darauf, Erythrozyten aus Stammzellen zu züchten oder Hüllen von roten Blutkörperchen mit einem Sauerstoffträger zu füllen. Im zweiten Fall werden aber menschliche Erythrozyten als Ausgangsmaterial gebraucht, was das Problem der Blutknappheit nicht grundlegend löst. Auf einem sehr guten Weg sind außerdem Blutprodukte auf Basis von Wattwurmhämoglobin. „Ein Molekül Wattwurmhämoglobin transportiert bis zu 38-mal mehr Sauerstoff als ein Molekül Humanhämoglobin“, erklärt Ferenz. Steinbicker ergänzt: „Bei der Wattwurmproduktion ist es sehr bildhaft geworden, wie schwierig es ist, aus den kleinen Lebewesen akzeptable Blutmengen zu gewinnen. Da sind riesige Wattwurmfarmen gebaut worden und es stellt sich natürlich wieder die Frage nach der Finanzierbarkeit eines solchen Präparats.“

Zu den erfolgreichsten Sauerstoffträgern gehört aktuell das US-amerikanische Produkt Hemopure auf Rinderhämoglobinbasis. Wegen eines Mangels an humanem Blut wurde es bisher ausschließlich in Südafrika und Russland zugelassen und wird dort auch nur selten eingesetzt. Außerdem ist es in den USA für spezielle Patientengruppen (etwa wenn alle anderen Therapieoptionen ausgeschöpft wurden oder Blutkonserven aus immunologischen oder religiösen Gründen keine Option sind) unter komplexen Auflagen in „expanded access programs“ verfügbar. Von den Perfluorcarbon-basierten Sauerstoffträgern ist das sogenannte Perftoran am weitesten fortgeschritten. Aktuell gibt es dafür eine Zulassung im osteuropäischen Raum und in Mexiko. „Es wäre großartig, wenn wir es erleben, dass künstliche Blutprodukte auch auf den europäischen Markt kommen. In naher Zukunft wird das aber sicherlich nicht passieren“, schätzt Steinbicker.

Sollte es in ferner Zukunft so sein, dass mehrere zugelassene Kunstblutprodukte im Ernstfall zur Wahl stünden, so sei durchaus vorstellbar, dass – je nach Setting – Produkte individuell ausgewählt würden. „Bei den Perfluorcabonen ist es so, dass man Menschen zusätzlich beatmen sollte, um eine optimale Versorgung mit Sauerstoff zu erreichen“, erklärt Ferenz. Dies sei im Krankenhaus oder Notarztwagen natürlich überhaupt kein Problem. In abgelegenen Regionen oder gar in Katastrophengebieten sei eine zusätzliche Beatmung hingegen nur schwierig bis gar nicht umsetzbar, sodass in solchen Situationen hämoglobinbasierte Kunstblutprodukte das Mittel der Wahl sein müssten: „Hämoglobine sind ja evolutionär auf Luftatmung spezialisiert, sodass keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr erforderlich ist.“ Am einfachsten sei es sowieso, so Steinbicker, wenn künstliche Sauerstoffträger nur kurzzeitig in geringer Menge zum Einsatz kämen: „Künstliche Sauerstoffträger sollen keine Dauerlösung sein, sondern sie dienen als Überbrückung, bis das Knochenmark wieder selbstständig nachproduziert oder der Patient in der Klinik transfundiert werden kann.“

Synthetisches Vollblut als Utopie

Generell bewegt sich das Feld der künstlichen Blutprodukte immer weiter weg davon, Blut komplett zu ersetzen. Das liegt auch daran, dass es sehr schwierig ist, Vollblut anzubieten, das neben Erythrozyten auch noch Thrombozyten sowie zahlreiche weitere Proteine und Spurenelemente enthält. „Eine alleinige Gabe von synthetischen Erythrozyten kann niemals die Lösung sein, weil das nach starkem Blutverlust zu inneren Blutungen führen würde“, erklärt Steinbicker und ergänzt: „Die nichtzellulären Blutprodukte sind mittlerweile als einzelne Komponenten verfügbar. Das heißt, wir müssen Betroffenen nicht mehr Spenderplasma geben, sondern können gezielt einzelne Blutkomponenten übertragen.“ Dafür werden auf Intensivstationen oder im OP mittlerweile Diagnostika und Labortechniken eingesetzt, die ermitteln, welche Komponente des Blutes fehlt, damit diese dann selektiv in geringen Mengen substituiert werden kann. Ein weiteres Thema, das bei der Produktion synthetischer Sauerstoffträger in den Fokus gerät, ist die Versorgung isolierter Organe im Kontext der Organtransplantation, beispielsweise während des Transports des Organs vom Spendenden zum Empfangenden. „Es gibt auch weitere spezielle Bereiche wie die Wundheilung, für die eine Anwendung künstlicher Sauerstoffträger leichter umsetzbar ist“, so Ferenz. „Es wurde beispielsweise gerade ein Pflaster mit künstlichen Sauerstoffträgern aus dem Wattwurm entwickelt, das auf chronische Wunden gelegt werden kann.“

Summary

  • Künstliche Sauerstoffträger können auf Basis von Perfluorcarbonen oder Hämoglobin (human oder tierisch) im Labor hergestellt oder aus Stammzellen gezüchtet werden
  • Bis zum Einsatz synthetischer Blutprodukte als Ersatz seiner zellulären Bestandteile ist es in Deutschland noch ein weiter Weg

PROF. KATJA FERENZ ist seit 2018 am Institut für Physiologie am Universitätsklinikum in Essen. Zuvor hat sie Pharmazie in Paris und Marburg studiert sowie in Münster für ihre Doktorarbeit die Voraussetzungen für eine optimale Funktion des Proteins Nervenwachstumsfaktor im Gehirn untersucht. Seit 2011 forscht die Pharmazeutin intensiv an künstlichen Blutprodukten, speziell an solchen auf Perfluorcarbonbasis, und kooperiert mit Forschenden, die sich auf hämoglobinbasierte Sauerstoffträger spezialisiert haben

PROF. ANDREA STEINBICKER ist stellvertretende Klinikdirektorin der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie im Universitätskrankenhaus Frankfurt. Zuvor war sie leitende Oberärztin an der Universitätsklinik Münster. Während ihrer Facharztausbildung im Bereich Anästhesie und Intensivmedizin forschte Steinbicker am Massachusetts General Hospital an hämoglobinbasierten künstlichen Sauerstoffträgern und prüfte diese auf Entzündungsreaktionen. Durch die Zusammenarbeit mit Prof. Katja Ferenz ergaben sich Untersuchungen von Fluor carbonbasierten Sauerstoffträgern

Fotoquelle: f1online, istock

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