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Alarm im Klimalabor

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2024

Die Erderwärmung nimmt zu, es kommt zu immer mehr Hitzewellen. Global wird die klimatische Nische, in der menschliches Leben möglich ist, kleiner. Die Gesundheit des Menschen ist durch Hitze besonders angreifbar. Hitzeschutzpläne sind gefragt, und das Gesundheitssystem muss sich darum kümmern, wie Menschen gegen Hitze resilienter gemacht werden können

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann führt eine Hochschulambulanz für Umweltmedizin und ist Deutschlands maßgebende Expertin, wenn es um die Wirkung des Klimawandels auf die Gesundheit geht.

Was sie im Gespräch mit xtra enthüllt, ist teilweise erschreckend – und hat doch eine optimistische Note. Ihr Appell an die Labore: Werdet nachhaltig!

Interview: Michael Hopp

Sie sind heute in Deutschland eine führende Forscherin im Bereich Klima und Gesundheit. Wie ist es dazu gekommen?

Ich bin als Ärztin in die Forschung gegangen, um mich um Menschen mit Allergien zu kümmern. In der Forschung habe ich dann gesehen, dass Allergiker durch den Klimawandel noch mehr leiden werden. Als ich mich vor neun Jahren entschieden habe, mich hier zu engagieren, war ich eine der ersten Ärztinnen, die an diesem Thema gearbeitet haben. Und heute bin ich wirklich in einer wirksamen Position. Weil ich in meinem Labor nahe am Patienten bin, aber auch nahe an der Forschung und inzwischen auch an der Politik.

Was ist Ihnen an Patientinnen und Patienten aufgefallen?

Da kam zum Beispiel, das war vor zehn Jahren, eine Patientin, die bereits im Januar unter einer Pollensymptomatik litt. Das kann nicht sein, habe ich erst gedacht. Doch der Blick in den Pollenmonitor zeigte tatsächlich, die Pollen waren schon da. Oder eine Patientin mit einer Borreliose, auch völlig außerhalb der Zeit. Solche Patienten kamen kontinuierlich und wurden immer mehr. Im letzten Sommer hatte ich viele Patienten, die während Extremwetterereignissen ein Asthma entwickelten.

Warum ist Hitze für Menschen so gefährlich?

Der Körper hat die lebenswichtige Aufgabe, seine Temperatur konstant bei 37 Grad zu halten. Wir brauchen diese Kerntemperatur, damit unser Körper funktioniert. Wenn wir nun eine Außentemperatur haben, die zu hoch ist oder auch zu niedrig, wird die Temperaturregulierung plötzlich zur Hauptaufgabe. Die Körper von Menschen, die alt und krank sind, oder auch die kleiner Kinder können dann andere Aufgaben, wie etwa eine chronische Erkrankung in Schach zu halten, nicht mehr erfüllen. Die Belastung durch Hitze ist für den menschlichen Organismus etwas absolut Dominantes.

Lassen sich diese Phänomene quantifizieren?

Wir sprechen von der Klimanische, die wir als Menschen auf dieser Erde haben. Und diese Klimanische verschiebt sich. Es gibt Berechnungen, dass in den nächsten 50 Jahren drei Milliarden Menschen diese Klimanische verlieren und ihre Region verlassen müssen. Das sind nicht nur Menschen, die in der Nähe von Wasser leben, wo der Meeresspiegel steigt, sondern es geht um Gegenden, wo es einfach zu heiß wird. Das ist auf der Karte ein Streifen durch Südamerika, Afrika, Asien und China, in dem wir heute zum Teil schon Bodentemperaturen von 60, 70 Grad messen und wo dann weder etwas wächst, noch der Mensch leben kann. Drei Milliarden Menschen. Das bedeutet, dass das, was wir an Migration derzeit sehen, ein schwacher Vorgeschmack ist darauf, was in Zukunft auf uns zukommt.

Sind sich die Menschen bei uns der Gefahr durch Hitze bewusst?

Nein, Hitze wird auch in der Öffentlichkeit als Gesundheitsgefahr bagatellisiert. Wenn über Hitze berichtet wird, sieht man meistens Eis schleckende oder am Brunnen spielende Kinder. Aber es wird kein bewusstloser Mensch dargestellt, was aber der Realität entspräche.

Wie zeigt sich eine Hitzewelle im Gesundheitssystem?

Es dauert zwei, drei Tage, bis die Hospitalisierungsquote massiv ansteigt. Ein, zwei Tage läuft die Kompensation dann noch, aber wenn die Hitze länger anhält, kommen die Menschen mit Nieren- und Lungenerkrankungen, mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei denen dann die entsprechenden Organe versagen. Die Diabetiker, die Krebskranken. Dazu kommen die Hitzekrankheiten, wie Hitzekrämpfe, Hitze-Erschöpfungen, Hitzschlag und Sonnenstich.

Wie kann sich eine Gesellschaft schützen vor Hitzeangriffen?

Der erste Schutz ist, Hitze als Gefahr wahrzunehmen. Wir müssen aufklären über die Risiken von Hitze. Wir müssen die Bereitstellung von Kühlzentren ermöglichen, den Zugang zu Trinkwasser in den Städten. Worms, Straubing oder Mannheim haben bereits öffentlich zugängliche und frei verfügbare Trinkbrunnen errichtet. Wir brauchen öffentliche Gesundheitsinitiativen, Stadtplanung und Infrastruktur. Grüne Flächen in den Städten. Bäume. Natürlich die richtigen Bäume, die nicht wieder Allergien verursachen, so wie am Potsdamer Platz, wo eine Birke neben der anderen steht. Wir brauchen aber auch weiße Dächer, nicht schwarze Fassaden, die die Gebäude aufheizen. Am Ende ist es ein Katastrophenschutz, den wir brauchen.

Welche Länder sind gut darin?

Was Hitzeschutzpläne betrifft, ist Frankreich fantastisch. Schon seit 2003 gibt es da einen Hitzeschutzplan, angeregt durch die extremeren Hitzewellen, die sie hatten. Die Bilder von der Hitzekatastrophe in Paris 2003, als sich die Verstorbenen wirklich in Kühlräumen gestapelt haben, haben sich in Frankreich im wahrsten Sinne des Wortes eingebrannt.


Das Klimalabor

Die Umweltmedizin in Augsburg unterhält zusammen mit der Universität und dem Universitätsklinikum Augsburg und Helmholtz Munich ein S2-Labor, in dem Analysen stattfinden, die die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit besser verstehen helfen. In der Umweltmedizin in Augsburg liegen die Schwerpunkte der Forschung auf Immunologie und Allergie, aber auch auf Themen wie Pollenmessung oder dem Ferntransport von Pollen. In Augsburg wurde auch über Covid-19 geforscht und eine Kombination von Biomarkern gefunden, die den Verlauf der Erkrankung vorhersagen können. Das Labor hat 2023 das „My Green Lab“-Zertifikat erhalten (die Zertifizierung gilt weltweit als Goldstandard der Best Practices im Bereich der Nachhaltigkeit von Laboren) und die „Freezer Challenge“ gewonnen.

Zusätzlich findet Forschung in „Reallaboren“ statt, also dort, wo die Menschen leben. In Bad Hindelang im Allgäu oder in Augsburg beispielsweise wurde Allergikern eine App zur Verfügung gestellt, die lokale, im Drei-Stunden-Takt gemessene Pollendaten, Prognosen für den Pollenflug und die Schadstoffwerte in der Luft anzeigt. In einem „Tagebuch“ auf der App können Betroffene dann den Verlauf ihrer Symptome aufzeichnen und mit den Daten abgleichen. Aus diesen Kenntnissen lassen sich Strategien entwickelt, um sich besser zu schützen.

www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/med/profs/umweltmedizin


Wie ist die Datenlage im Moment bezüglich des Zusammenhangs von Klimawandel und Mortalität?

Klimawandel ist natürlich vieles. Extreme Wetterereignisse, Fluten. Wir wissen, wie viele Menschen im Aartal umgekommen sind. Wir wissen, wie viele durch extreme Dürreperioden wie etwa in Russland umkommen. Wir sprechen von 70.000 bis 80.000 Hitzetoten in Europa pro Jahr, als Übersterblichkeit, das sind Menschen, die sonst nicht gestorben wären.

Welche Rolle spielt zusätzlich die Luftverschmutzung?

Sie führt zu Lungenerkrankungen, zu Krebs und zu Diabetes. 2020 hatten wir immer noch 1,9 Millionen Menschen weltweit, die durch verkehrsverbundene Umweltverschmutzungen gestorben sind. Wenn wir über Mortalität und Klimawandel sprechen, müssen wir immer die Luftverschmutzung mit hineinnehmen. Luftverschmutzung hat auch einen Einfluss auf die Pollen und Allergien. Sie macht unsere Schleimhäute undicht, schädigt unsere Barriere und lässt uns dann Allergien entwickeln.

Aber auch die Pollen sollen aggressiver werden ...

Durch Luftverschmutzung und Klimawandel produzieren Pollen mehr von den Substanzen, die Allergien auslösen. Zusätzlich haben wir durch die Klimaerwärmung eine längere Pollensaison. Es gibt schon Haselpollen, die bereits im Januar fliegen, und Ambrosia oder Beifuß, die bis in den späten Herbst noch auftauchen. Es gibt übers Jahr fast keinen Tag mehr ohne Pollen – durch den Klimawandel. Und wir haben mehr Pollen pro Tag, als Stressreaktion des Baums. Und wir haben auch neue Pollen, wie beispielsweise das beifußblättrige Traubenkraut, auch Ambrosia genannt, oder das Glaskraut. Ambrosia haben wir schon im Allergietest, das Glaskraut noch nicht.

Von HIV bis Corona, auf welchen Wegen kommen gefährliche Viren zu uns, wenn sich das Klima verändert?

Das hat primär etwas mit planetaren Grenzen zu tun, die von uns Menschen überschritten werden, und zwar vielfältig. Diese Überschreitungen bewirken den Klimawandel, sie führen aber auch dazu, dass wir sehr weit in den Lebensraum der Wildtiere vordringen, ein riesiges Reservoir an Viren, wie wir jetzt gerade auch bei der letzten Pandemie gemerkt haben. Sogenannte Zoonosen treten auf, also vom Tier zum Menschen übertragene Erkrankungen, wie schon bei HIV.

Auch Mücken, Zecken und ähnliches Getier sind besser beschäftigt, seit wir im Klimawandel leben ...

Das stimmt. Die Anopheles oder auch Tigermücke ist tierisch nervig, da sie auch tagsüber aktiv ist – und weil sie uns Erkrankungen wie zum Beispiel das West-Nil-Fieber-Virus bringt. Nur durch wirklich detektivisches Handeln von einigen Ärzten konnten wir diese Fälle aufklären – wie die Endemien, die durch West-Nil-Fieber-Viren im Osten Deutschlands aufgetreten sind. Wir bekommen auch ganz neue Zecken. Etwa die Hyalomma-Zecke, die „Riesenzecke“ mit gestreiften Beinen. Sie kommt zu uns – mit neuen Viren im Gepäck.

„Wenn wir über Mortalität und Klimawandel sprechen, müssen wir immer die Luftverschmutzung mit hineinnehmen. Sie hat zudem Einfluss auf Pollen und Allergien und schädigt unsere Barrieren“

Claudia Traidl-Hoffmann

Gibt es denn auch gute Nachrichten?

Auf jeden Fall, und wir sollten wir sie viel stärker betonen – sonst wirkt alles so bedrückend, dass Leute sagen, wir können ja sowieso nichts machen. Klar ist zum Beispiel: Wenn wir die Luftverschmutzung reduzieren, reduzieren wir gleichzeitig die Klimagase. Und weil wir zunehmend aus den fossilen Energien aussteigen, haben wir schon einen Rückgang der durch verkehrsbedingte Umweltverschmutzung bedingten Todesfälle um 17,7 Prozent seit 2005 geschafft. Deutschland hat 2022 sein Klimaziel erreicht, das wird international auch gesehen. Das heißt also, was wir machen, bringt etwas, zumindest in Europa oder Deutschland. Natürlich bewirkt ein vernünftiger öffentlicher Nahverkehr mehr als Elektroautos, die genauso viele ultrafeine Partikel wie Verbrennermotoren produzieren und ihre Umweltlast teilweise nur exportieren. Die Lithium-Bergwerke, die das Trinkwasser kontaminieren, sind ja weit weg, sodass wir das gar nicht mitbekommen.

Ist die Abwendung oder die Linderung gesundheitlicher Schäden, die das Klima verursacht, ausschließlich eine Frage der finanziellen Mittel?

Wenn wir Prävention betreiben und zusehen, dass Menschen auch klimaresilient werden, können wir damit sogar Geld sparen. Deswegen sind auch die Krankenkassen gefragt und auch schon sehr aktiv. Wenn wir Krankheitsfälle und Arbeitsausfälle reduzieren können, ist Geld richtig investiert. Die Datenquelle „Lancet Countdown“ sagt, dass wir 2022 weltweit möglicherweise bereits 863 Milliarden Euro allein durch hitzebedingte Reduzierung der Arbeitskapazität verloren haben, gerade im Bereich Agrar. In einem Jahr. Das sind die Dimensionen.

Klimawandel und Umweltverschmutzung wirken besonders auf die ärmsten Menschen, während sich Wohlhabende besser schützen können. Würden Sie diesen Satz so unter- schreiben?

Wir wissen, dass Kinder, die in der Nähe einer befahrenen Straße leben, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine Neurodermitis oder eine Allergie zu entwickeln. Und wer lebt in der Nähe einer befahrenen Straße? Sicher die Menschen, die sozial schlechter gestellt sind. Insofern, ja, Klimawandel und Umweltverschmutzung sind hoch ethische und soziale Herausforderungen. Darum ist das ein Thema, das die Politik auch entsprechend nutzen kann. Dass es wirklich darum geht, Menschen zu schützen. Gerade die, die schwächer sind.

Welche Ressourcen außer Geld können noch freigesetzt werden im Schutz vor dem Klimawandel?

Wir müssen erstens erkennen, dass der vorwiegend reaktive Umgang mit Krankheiten zu wenig ist. Wir müssen in die Prävention gehen. Wir müssen darüber nachdenken, was wir tun müssen, damit Menschen erst gar nicht krank werden. Ich nenne das den salutogenetischen Ansatz, nach dem Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen ist. Das geht über Lebensweise, Ernährung, Bewegung. Über Früherkennung, Primärprävention. Ich glaube, wir sind zurzeit überhaupt kein Gesundheitssektor, sondern wir sind ein Krankheitssektor.

Und zweitens?

Der Gesundheitssektor ist für fünf Prozent aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. So etwas wie Mülltrennung ist ja ein Neologismus für Menschen in Krankenhäusern. Wir müssen unbedingt die Nachhaltigkeit in die Krankenhäuser und in die Labore bringen. Ich habe zum Beispiel ein Grundlagenlabor, wir haben ein Zertifikat von „My Green Lab“. Wir haben unsere Minus-80-Grad-Kühlschränke auf minus 70 hochgestellt und können damit Strom sparen und zugleich unseren CO2-Fußabdruck verbessern. Darum geht es doch, dass man etwas tut.


Die Quelle

Alle zitierten Daten stammen aus „The Lancet Countdown“, einer Datenplattform, die verbindliche und unabhängige Daten für die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels bereitstellt. Eine interdisziplinäre Kooperation aus 52 Forschungseinrichtungen und UN-Organisationen untersucht mit mehr als 40 Indikatoren die globalen Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels auf die Gesundheit sowie die internationalen politischen Antworten darauf.

www.thelancet.com/countdown-health-climate


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