...und ewig lockt der Jungbrunnen
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2020
Eines Tages ist alles zu Ende? Vielleicht nicht. Denn Altersforscher Prof. Dr. David Sinclair arbeitet daran, dem Tod das Handwerk zu legen
Text: Verena Fischer
Das Altern einfach so hinzunehmen, ist für Altersforscher keine Option. Ihnen geht es darum, die Ursachen zu erkennen, diese hinauszuzögern und das gesunde Leben zu verlängern. Der größte Optimist unter ihnen – Prof. David Sinclair – geht sogar noch einen Schritt weiter: „Theoretisch können wir ewig leben“, sagt er und verfolgt mit seiner Forschungsgruppe genau dieses Ziel – das Altern abzuschaffen und es sogar rückgängig zu machen. In seinem neuen Buch „Das Ende des Alterns“ beschreibt er, was jeder selbst tun kann, um seine Zellen für die Ewigkeit zu konservieren. Dies sei sogar einfacher als die Heilung von Krebs, verspricht der australische Professor für Genetik.
Das Raupen-Syndrom
Wie aus einer gefräßigen Raupe ein Schmetterling wird, illustriert das Kinderbuch „Die Kleine Raupe Nimmersatt“ auf malerische Art. Aber was verursacht tatsächlich die Verwandlung? Die Gene jedenfalls sind bei der Raupe und beim Schmetterling identisch. Was sich hingegen ändert, ist das Epigenom – die Gesamtheit aller DNA-Verpackungsproteine (sogenannte Histone) sowie deren durch chemische Verbindungen geregelter Aktivitätszustand. Diese Verpackung entscheidet, welche Gene abgelesen werden und welche nicht, und sie kann durch Umweltfaktoren verändert werden.
Im Falle der Raupe führt der Wandel im Epigenom dazu, dass nicht mehr die „Raupen-Gene“, sondern die des Schmetterlings aktiv sind und bunte Flügel und empfindsame Fühler wachsen. In der menschlichen Entwicklung scheint sich die Verwandlung eher umgekehrt abzuspielen: Fällt in jungen Jahren alles leicht, werden Bewegungen mit dem Alter immer schwerfälliger. Und daran ist eben auch unser Epigenom schuld, sagt Sinclair: „Alterung ist ein Informationsverlust.“ Und dieser kann unsere Gene betreffen oder das Epigenom.
„Kein biologisches Gesetz sagt, dass wir altern müssen“
Prof. Dr. David Sinclair
Ebenso wie bei der Raupe machen unsere Körperzellen zu Beginn unseres Lebens eine erstaunliche Metamorphose durch. Bleibt zwar die DNA in allen Zellen identisch, gelingt es während der Embryonalentwicklung dennoch, spezifisches Gewebe, beispielsweise Nerven-, Haut- oder Nierenzellen auszubilden. Hierfür ist ein flexibles Epigenom nötig – dafür, dass Gewebe anschließend seine Identität bewahrt und Organe ihre Funktion behalten, braucht es dann wieder eine konstante DNA-Verpackung.
Wächter des Epigenoms
Wie Studien mit eineiigen Zwillingen belegen, kann Epigenetik die Lebensdauer stark beeinflussen: Raucht ein Zwilling beispielsweise, altert dieser sichtbar schneller – trotz identischem Genmaterial. Zwillingsforscher schätzen den genetischen Anteil an der Langlebigkeit heute auf nur noch zehn bis 25 Prozent, was überraschend wenig ist. Bedenkt man, dass es allein bei der natürlichen Verdopplung der DNA-Stränge Tag für Tag zu mehr als zwei Billionen DNA-Brüchen kommt, können wir andererseits froh sein, dass die Gene nicht unser Schicksal sind. Klar ist: Ohne Reparaturmechanismen wären wir aufgeschmissen, wir würden nicht lange leben.
Die gute Nachricht: Mittlerweile sind mehr als zwei Dutzend sogenannter Langlebigkeitsgene bekannt, die DNA-Reparaturen ankurbeln, das Epigenom stabilisieren und dadurch der Alterung entgegenwirken. Zu ihren Produkten gehören die Sirtuine – Enzyme aus der Gruppe der Histon-Deacetylasen –, Forschungsschwerpunkt von Sinclair: „Beim Menschen gibt es sieben unterschiedliche Formen von Sirtuinen, SIRT1 bis SIRT7. Die Hauptaufgabe dieser epigenetischen Faktoren ist es, bei Belastung die Fortpflanzung von Zellen zu hemmen und stattdessen DNA-Reparaturmaßnahmen in Gang zu setzen. Sirtuine steuern unsere Gesundheit, unsere Fitness, sogar unser Überleben“, schwärmt er.
„Altern ist die häufigste Krankheit der Welt und kann behandelt werden“
Prof. Dr. David Sinclair
Wenn Siruine überlastet sind
Wer etwa an dem Werner-Syndrom erkrankt ist, altert bereits ab dem Alter von 30 Jahren im Zeitraffer und hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur 46 Jahren. Ursache ist eine Mutation in dem sogenannten Werner-Gen (WRN), das für eine DNA-Helikase codiert – ein Enzym, das DNAStränge entheddert und Brüchen im Erbmaterial vorbeugt. Sinclair hat die Erkrankung an Hefezellen erforscht und herausgefunden, dass bei der Reparatur der DNA-Brüche, die aufgrund der Abwesenheit der Helikase entstehen, SIRT2 seinen Wirkort an der DNA verlässt und sich an der Reparatur beteiligt.
Seine eigentliche Funktion, nämlich bestimmte Gene stumm zu schalten, kann das Enzym dann nicht mehr erfüllen. „Wenn epigenetische Faktoren das Genom verlassen und sich um Schäden kümmern, werden immer Gene, die eigentlich ausgeschaltet sein sollten, eingeschaltet, und umgekehrt. Die Folge ist Chaos. Zellen verlieren ihre Identität und funktionieren nicht mehr richtig. Chaos zeigt sich als Alterung“, erklärt Sinclair.
Was wir tun können
„Essen Sie weniger“, rät der Altersforscher. Damit ist keinesfalls Mangelernährung und schon gar kein Hungern gemeint. Vielmehr kann regelmäßiges Fasten, indem beispielsweise auf das Frühstück verzichtet wird (sogenannte 16 : 8-Diät), das Sirtuin-Programm aktivieren. „Es signalisiert den Langlebigkeitsgenen, dass sie die Zellabwehr stärken, die epigenetischen Veränderungen gering halten und die Alterung verlangsamen sollen“, sagt Sinclair.
Studien belegen außerdem, dass die Gesamtsterblichkeit zurückgeht, wenn vorwiegend Pflanzenproteine auf dem Speiseplan stehen. Denn Pflanzen können zwar alle Aminosäuren liefern, niemals jedoch alle gleichzeitig. Und genau das hält uns jung. Denn ein Organismus, in dem einzelne Aminosäuren zeitweilig Mangelware sind, befindet sich genau in dem Stress, der den Überlebensschaltkreis der Sirtuine arbeiten lässt.
Kann ein Saunabesuch Wellness für das Epigenom sein? Laut Sinclair schon. Denn zeitweilige Hitze sowie auch gelegentliches Frieren und regelmäßige Bewegung erzeugen ebenso wie Fasten den nötigen Stress gegen das Altern.
Tabletten statt Fasten und co.?
Metformin ist ein gängiges Medikament gegen Typ-2-Diabetes – und kann offenbar lebensverlängernd wirken. Ein Versuch an Mäusen hat gezeigt, dass seine Einnahme die Lebensdauer der Tiere um sechs Prozent erhöhen kann. LDL- und Cholesterinspiegel waren bei den Mäusen niedriger, die körperliche Leistungsfähigkeit war gesteigert. „Metformin ahmt verschiedene Aspekte der Kalorienbeschränkung nach“, sagt Sinclair. „SIRT1 wird aktiviert, die Mitochondrien-Aktivität erhöht, und falsch gefaltete Proteine werden beseitigt.“ Gleichzeitig sorgt Metformin dafür, dass mehr Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD) produziert wird. Ein Molekül, das Sirtuine für ihre Arbeit benötigen. „Ein NAD-Verlust hemmt die Funktion der Sirtuine und ist nach aktuellem Forschungsstand ein Hauptgrund dafür, dass der Körper im höheren Alter häufiger erkrankt.“
Aktuell testet die nicht kommerzielle „American Federation for Aging Research“, ein Zusammenschluss von Altersforschern, zu denen auch Sinclair gehört, Metformin an 3.000 gesunden Probanden im Alter von 70 bis 80 Jahren. Er selbst nimmt schon seit Jahren jeden Morgen ein Gramm des Medikaments sowie zusätzlich ein Gramm Nicotinamid-Mononucleotid (NMN) ein. NMN ist ein Stoff, der von Körperzellen produziert wird, in Lebensmitteln wie Avocado, Brokkoli und Kohl vorkommt und die NAD-Konzentration im Tierversuch während der nächsten Stunden um 25 Prozent steigen lässt – „ganz so, als hätte das Tier gefastet“, erklärt Sinclair, der mit seinen 50 Jahren noch immer wie ein 30-Jähriger ausschaut.
„Das Alter von Zellen kann tatsächlich vollständig auf null gestellt werden“
Prof. Dr. David Sinclair
Das Alter im Labor messen
„Alle paar Monate kommt ein Phlebologe zu mir nach Hause und nimmt mir Blut ab, das ich dann auf Dutzende von Biomarkern untersuchen lasse“, verrät der Epigenetiker. „Wenn die Werte nicht optimal sind, korrigiere ich sie durch Essen oder mit Sport.“ Tatsächlich haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biologie in diesem Jahr ein metabolisches Profil aus 14 Biomarkern im Blut identifiziert, das die statistische Wahrscheinlichkeit, in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu sterben, besser vorhersagen kann als bisherige Marker. Es spielen dabei vor allem Aminosäuren, Lipidwerte und Entzündungsparameter eine Rolle.
Seit 2014 gibt es außerdem die sogenannte Horvarth-Uhr, mit der sich anhand epigenetischer Faktoren das biologische Alter an jeder einzelnen Körperzelle ablesen lässt. Wie lange es dauern wird, bis solche Messungen zur Routine in hämatologischen Laboren gehören, bleibt abzuwarten. Glauben wir Prof. David Sinclair, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir alle dies noch erleben werden, jedenfalls sehr hoch.
Hintergrund
Die 9 Ursachen des Alterns
- DNA-Schäden
- Abnutzung der Telomere
- Veränderungen im Epigenom
- Proteostase
- Stoffwechselveränderungen
- Fehlfunktionen der Mitochondrien
- Anreicherung gealterter Zellen
- Erschöpfung der Stammzellen
- Entzündungsfördernde Moleküle
Summary
- Sirtuine sind Langlebigkeitsgene, die das Epigenom stabilisieren, die DNA-Reparatur ankurbeln und der Alterung entgegenwirken
- Fasten oder bestimmte Nahrungsergänzungsmittel unterstützten Sirtuine und halten so jung
Fotoquelle: Dumont/ Brigitte Lacombe