Spürbare Veränderungen in der Diagnostik
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2024
xtra im Gespräch mit Dr. Helmuth Haslacher, Leitung Präanalytik, Biobank und Hämatologie am Klinischen Institut für Labormedizin der MedUni Wien und des AKH Wien, über die Zukunft der Arbeit im medizinischen Labor
Text: Anja Lang
Herr Dr. Haslacher, Sie gelten als „Urgestein“ der Biobank Wien. Was hat sich von damals bis heute aus Ihrer Sicht zentral verändert?
Ich bin tatsächlich schon seit mehr als 17 Jahren mit dabei und habe schon während meines Molekularbiologiestudiums angefangen, die Biobank mitaufzubauen. Als Facharzt für Laboratoriumsmedizin habe ich später auch den Bereich der Präanalytik übernommen, und vor eineinhalb Jahren kam noch die hämatologische Diagnostik hinzu. Insbesondere hier hat es spürbare Veränderungen gegeben. Der Fokus in der hämatologischen Spezialdiagnostik – also von Knochenmarksdiagnostik, Durchflusszytometrie, Stammzelldiagnostik und dergleichen – hat sich immer mehr in Richtung genetische Analytik entwickelt. Bei der hämatologischen Akut- und Routinediagnostik – also großes und kleines Blutbild et cetera – lassen sich vor allem erste sanfte Schritte in Richtung verstärkter Digitalisierung und Digitalmikroskopie feststellen. Diese Neuerungen sind ja inzwischen auch bei uns realisiert.
Wie wurde die Automatisierung der digitalen Mikroskopie von den Mitarbeitenden aufgenommen?
Die Umstellung auf Digitalmikroskopie war schon ein Paradigmenwechsel. Die Herausforderung bestand vor allem darin, dass die Mitarbeitenden dieser neuartigen Methode auch vertrauen. Dazu haben wir neben den regulatorischen Erfordernissen nicht zuletzt auch als vertrauensbildende Maßnahme die Ergebnisse der manuellen mikroskopischen Methode mit denen der Digitalmikroskopie systematisch verglichen, was eine hohe Übereinstimmung ergab. Das hat sehr überzeugt. Hinzu kommen noch einige praktische Vorteile, wie etwa, dass die Bildschirmarbeit die Augen auf Dauer deutlich weniger anstrengt als der Blick durchs Mikroskop, und die Tatsache, dass sich Auffälligkeiten am Bildschirm leichter markieren und abspeichern lassen, als das am Mikroskop möglich ist. Sie können Expertenmeinungen von Personen einholen, die nicht vor Ort sind. Und sogar Mitarbeitende, die ein Labor nicht betreten können, weil sie zum Beispiel schwanger sind, können weiter eingesetzt werden. Als Nachteil bleibt, dass sich die KI zu einem kleinen Prozentsatz immer noch irren kann und daher immer eine manuelle Nachbearbeitung erforderlich ist.
Wo kann KI jetzt schon Unterstützung leisten und wo gibt es Limitierungen?
Wir setzen KI vor allem zum Vorerkennen von Proben ein. Was die genaue Zuordnung auffälliger Zellen selbst betrifft, ist immer noch die Expertise der Mitarbeitenden gefragt. Die Digitalmikroskopie kann Fachkräfte im Labor also keineswegs ersetzen. Sie kann sie aber bei der Vorauswahl gut unterstützen, sodass sie nicht mehr alles von Hand erledigen müssen. Das ist vor allem deshalb so wertvoll, weil wir schon jetzt einen Fachkräftemangel haben, der sich mit der demografischen Entwicklung und den anstehenden Pensionierungswellen noch weiter zuspitzen wird. Darüber hinaus sehe ich eine große Chance für den Einsatz von KI im Clinical Decisioning – also Handlungsempfehlungen dafür, welche Messungen bei welchen Patientinnen und Patienten tatsächlich nötig sind, um Diagnosen entsprechend schneller, effektiver und auch kosten- und ressourcensparender erstellen und Therapieentscheidungen treffen zu können. Solche KI-gesteuerten Empfehlungen wären natürlich auch im Management unserer Biobank sehr vorteilhaft, um aus den Millionen von Proben genau die Datensätze herauszufiltern, die im Rahmen eines Forschungsprojekts am effizientesten Antworten auf eine wissenschaftliche Frage liefern. Auch bei der Kontrolle von Befunden und Freigaben und bei Plausibilitätskontrollen glaube ich, dass solche Programme Muster viel besser erkennen können als ein Mensch, der täglich mehrere Hundert Befunde durchschauen muss. Irgendwann lässt auch beim Motiviertesten einfach die Konzentration nach, und damit geht oft auch der Blick für das Detail verloren.
Während der Coronapandemie mussten physische Kontakte auch im Labor weitgehend abgebaut und durch digitale Kommunikation ersetzt werden. Wo hat dieser Trend aus Ihrer Sicht zu Verbesserungen geführt?
Dass sich Menschen auch außerhalb ihrer physischen Präsenz in eine Besprechung einwählen können, ist schon ein großer Vorteil, vor allem im Hinblick auf die Flexibilität, die Zeitersparnis und den ökologischen Fußabdruck. Allerdings sind digitale Meetings auch nur bis zu einem gewissen Grad effizient, weil die Gefahr der Ablenkung am Bildschirm enorm groß ist. Gute Erfahrungen habe ich im Fortbildungsbereich mit Präsenzveranstaltungen gemacht, die aufgezeichnet werden. So können sich die Teilnehmenden aussuchen, welche Präsentationsform sie nutzen möchten. Zudem besteht mit der Aufzeichnung die Möglichkeit, live erworbenes Wissen noch mal nachzusehen und entsprechend zu vertiefen.
Sie bieten noch klassische Mikroskopierkurse an. Könnten Sie sich vorstellen, einen Teil der Kurse auch in webbasierte Applikationen zu verlagern, bei denen digitale Slides, zum Beispiel für Leistungsüberprüfungen, beurteilt werden?
Ja, das wird ja bereits beispielsweise bei der Beurteilung von Rundversuchen so gemacht. Ich kann mir gut vorstellen, die Unterschiede der manuellen Mikroskopie zur Digitalmikroskopie im Kurs herauszuarbeiten, damit man beides mal kennengelernt hat. Einen Teil des Unterrichts digital zu veranstalten, hätte außerdem den Vorteil, den Kreis der Teilnehmenden erweitern zu können, da der physische Platz und die Anzahl der Mikroskope digital keine Rolle spielen. Ich merke allerdings auch, dass der direkte Austausch untereinander im Kurs sehr wichtig und wertvoll ist. Das ist in Präsenz erfahrungsgemäß deutlich leichter erreichbar, als es online möglich wäre.
Zur Person
Dr. Helmuth Haslacher ist ausgebildeter Molekularbiologe, Humanmediziner und Politikwissenschaftler. Der Lehrbeauftragte für medizinische und chemische Labordiagnostik koordiniert die MedUni Wien Biobank und leitet außerdem als Facharzt für Laboratoriumsmedizin die Sektionen Präanalytik und Biobank sowie Hämatologische Diagnostik am klinischen Institut für Laboratoriumsmedizin der MedUni Wien und des AKH Wien
Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung in der Durchflusszytometrie?
In der klinischen Durchflusszytometrie geht es heute unter anderem darum, pathologische Zellpopulationen mit hoher Sensitivität zu entdecken und im Krankheitsverlauf auch wiederfinden zu können. Es wäre von großem Vorteil, wenn dies auf einem standardisierten Setting basiert. So könnten wir immer nachvollziehbare Ergebnisse erhalten, auch wenn Patientinnen und Patienten das Krankenhaus wechseln oder die Diagnosestellung woanders stattgefunden hat und es keine sensitiven genetischen Marker gibt. Den Einsatz von KI sehe ich hier als besondere Chance, denn Computerprogramme sind in der Lage, solche abnormen Zellpopulationen noch besser identifizieren und vor allem Muster noch schneller erkennen zu können.
Zentrales Schlagwort der Digitalisierung ist, neben KI, die Robotik. Wo wird sie im Labor bereits eingesetzt und wohin geht die Reise?
Große Biobanken wie unsere, in denen viele Millionen Proben verarbeitet und bei minus 80 Grad Celsius gelagert werden, sind heute zunehmend automatisiert. Ohne Roboter läuft da gar nichts mehr. Jedoch kommt es bei solchen Extrembedingungen auch zwangsläufig zu einer Reihe von Verschleißproblematiken, was dazu führt, dass die Roboter nicht 24/7 fehlerfrei laufen. Das heißt, man braucht auch hier geschultes Personal, das die Roboter beaufsichtigt, Troubleshooting betreibt, kontrolliert, ob die Proben, die in den Roboter reingehen, auch optimal vorbereitet sind, und so weiter. Der Vorteil der betreuten Vollautomatisierung liegt vor allem darin, dass sich Fehler besser nachvollziehen lassen und das Ganze standardisierter ist. Und die Geräte werden weniger müde: Der Roboter erbringt – vorausgesetzt, er wird korrekt gewartet – um 16 Uhr noch dieselbe Leistung wie um 8 Uhr in der Früh. Und unabhängig davon, ob er in der Nacht gut geschlafen hat, pipettiert er von morgens an immer gleich gut. Trotzdem werden auch beim Einsatz von Robotik immer noch Menschen benötigt werden, die die Roboter bedienen, warten und reparieren. Daran wird sich meiner Einschätzung nach auch nicht wirklich etwas ändern.
Summary
- Digitalmikroskopie entlastet Fachpersonal im Labor vor allem bei lästigen Routineaufgaben
- KI kann im Bereich Clinical Decisioning dazu beitragen, Diagnosen zu stellen und Therapieentscheidungen noch kosten- und ressourcensparender zu treffen